Naturwein

Vorweg ein kurzes Statement: Naturweine sind per se nicht besser als herkömmliche Weine, sie sind anders und bieten zusätzliche Aspekte im Weinuniversum.

Naturwein ist ein rechtlich nicht festgelegter Begriff. Ist nicht jeder Wein ein Naturprodukt? Naja, wenn man sich die Zutatenliste aus der önologischen Wundertüte so durchliest (wenn sie denn veröffentlicht werden müsste), könnte man daran echt zweifeln. Daher haben sich unverdrossene Sturschädeln in Frankreich darangemacht, ihre Weine sehr puristisch mit möglichst wenigen Eingriffen in die Flasche zu bringen. Die Naturweinbewegung nahm von der Loire und dem Jura in den 80er-Jahren ihren Ausgang, heftig bekämpft von den Gralshütern des konventionellen Weinbaus. Die Anfänge dürften für den durchschnittlichen Gaumen durchaus eher, sagen wir, anspruchsvoll gewesen sein. Die Weinerzeuger zahlten viel Lehrgeld, mittlerweile sind Naturweine von handwerklich versierten Winzern aber kein Risiko mehr, sondern reiner Ausdruck der natürlichen Umgebung und der Rebsorten.

Quasi jeder Naturwein folgt biologischen oder biodynamischen Grundsätzen, das Traubenmaterial muss in hervorragendem Zustand zur Presse gelangen und die Hefepilze, welche auf den Beerenhäuten und im Keller leben, beginnen ihre segensreiche Arbeit der Umwandlung von Zucker in Alkohol. Man spricht von Spontanvergärung, das heißt die einheimischen Hefen übernehmen den Job. In der „normalen“ Kellerwirtschaft würden nach der Schwefelung zur Elimination der Wildhefen zugesetzte Reinzuchthefen wie die Feuerwehr loslegen, die Spontanvergärung läuft langsamer ab. Da zur Stabilisierung der Gärprozesse kein oder kaum Schwefel eingesetzt wird, ist das Risiko einer unerwünschten Bakterienentwicklung und ungewollter Oxidation höher. Achtsamkeit im Keller ist beim Naturwein daher extrem wichtig. Die absoluten Puristen unter den Naturwinzern setzen auch bei der Abfüllung in Flaschen keinen Schwefel zu und filtern den Wein auch nicht.

Wir wollen nicht so streng sein und freuen uns auch über minimal geschwefelte und leicht filtrierte Weine. Es herrscht ja bei dem einen oder anderen doch noch eine unbewusste Scheu, leicht trübe Flüssigkeit einfach so zu schlucken.

Organisationen

Mittlerweile gibt es Interessensgruppen von Naturweinerzeugern, die sich eigene Regeln auferlegen, die vor allem im Schwefeleinsatz Unterschiede zeigen. Die Association des Vins Naturels (AVN) erlaubt zugesetzte Sulfite im Ausmaß von 30 mg/Liter für Rotweine und 40 mg/l für Weißweine, das Syndicat de défense des Vins Nature’l hat eine Zweistufenregelung 30/30 und 0/0 mg/l und Vins S.A.I.N.S bleibt strikt bei 0/0 mg/l.

Schwefel im Wein

Weil es gerade thematisch gut passt, noch ein paar Worte zur viel diskutierten Schwefelung und den Auswirkungen auf Wein und Mensch. Grundsätzlich enthält jeder Wein Schwefelverbindungen (Sulfite), welche in natürlichen Prozessen während der Gärung entstehen.

Schwefel wirkt stabilisierend, antioxidativ, antibakteriell und in geringerem Maße auch klärend. Er hilft, önologische “Abweichungen” zu vermeiden und ein “stabiles” Produkt zu gewährleisten. Ein Winzer kann sich entscheiden, Sulfite in verschiedenen Stadien des Weinherstellungsprozesses hinzuzufügen:

  • Nach Erhalt der Ernte, direkt auf den Beeren
  • Während der Mazeration (Aufweichung der Beeren) des Traubenmostes
  • Nach dem Pressen
  • Während des Reifungsprozesses
  • Bei der Abfüllung

Zusammengenommen können diese Dosen eine erhebliche Menge an Sulfiten darstellen, die der Konsument in der Flasche vorfindet. Tadellose Hygiene im Keller und kerngesunde Trauben machen es jedoch möglich, die Zugabe von Schwefel zu begrenzen oder sogar ganz darauf zu verzichten. Folglich ist ein Wein nie völlig frei von Sulfiten, aber er kann “ohne zugesetzte Sulfite” sein. Rotweine mit ihren höheren Gerbstoffgehalten enthalten meist weniger als Weißweine, Süßweine aus edelfaulen Trauben traditionell am meisten Schwefel.

Warum wollen wir Sulfite im Wein reduzieren?

Erstens die Gesundheit. Übermäßige Schwefelung kann für Migräne, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und sogar Allergien verantwortlich sein. Die Empfehlung für den Durchschnittsmenschen beträgt ca. 25 mg/Tag. Einige konventionelle Weine überschreiten 300 mg/Liter. Bioweine sind mit 100 mg/l bei Rotwein und 150 mg/l bei Weißwein begrenzt. Weine mit wenig oder gar keinem Schwefel werden vom Körper leichter assimiliert, man sagt, sie seien “bekömmlicher”. Jedenfalls ist bei Werten über 10 mg/l zugesetzter Sulfite der Hinweis auf dem Etikett (Enthält Sulfite – Contient des sulfites) verpflichtend, nicht jedoch die Angabe des Wertes. Manche Winzer lassen uns aber freiwillig in die Karten schauen. Das empfinde ich als eine nette, vertrauensbildende Maßnahme.
Der zweite Grund ist weniger bekannt. Wenn Sulfite, die bei der Weinherstellung verwendet werden, die Entwicklung unerwünschter Bakterien eindämmen oder eine vorzeitige Oxidation verhindern können, stören sie auch die guten Hefen und Bakterien, auf die Gefahr hin, den Wein zu desinfizieren und ihn seines einzigartigen Charakters zu berauben. Eine hohe Dosis zugesetzter Sulfite trägt daher zur Verarmung der geschmacklichen Besonderheiten eines Weines und damit zur Standardisierung des Geschmacks bei.

Wenn der Wein wenig Sulfite enthält (z. B. weniger als 50 mg/Liter), ist es für einen Verkoster sehr schwierig, das Vorhandensein von Sulfiten zu erkennen. Oberhalb dieses Wertes werden bestimmte Anzeichen leichter erkennbar:

  • Eine stumpfe, kraftlose und wenig einladende Nase
  • Ein “chemischer” Geruch wie ein Streichholzkopf, der bis hin zu einem faulen Ei gehen kann
  • Ein trockener und brennender Abgang, besonders bei Weißweinen
  • Ein hartes, starres und nicht sehr aromatisches Mundgefühl
  • Der Eindruck eines verschlossenen Weins.

Folglich kann ein Übermaß an zugesetzten Sulfiten auch aromatische und geschmackliche Defekte erzeugen, an die sich die Konsumenten leider gewöhnen (der berühmte Geruch von Feuerstein, der als mineralischer Ausdruck des Terroirs interpretiert wird, kann daher rühren).

Selbsttest

Wer den Unterschied von Naturwein zu handelsüblichem Industriewein erschmecken will, nehme am besten Sauvignon Blanc, der mit allen Tricks der Kellerwirtschaft, wie fruchtige Reinzuchthefen, reduktive Kaltvergärung unter Ausschluss von Sauerstoff, Schönung, Filtration und reichliche Schwefelzugabe im wahrsten Sinne des Wortes produziert wurde. Der erste Eindruck in der Nase und am Gaumen wird sehr prägnant ausfallen, „sortentypisch vollfruchtig nach Stachelbeeren, Paprika, usw.“, die volle Opulenz. Nach dem zweiten Glas wird mir der Wein fad, ich bin ihm überdrüssig, alles wurde geschmacklich erforscht, da kommt nichts mehr, die Kraft ist erschöpft.

Ein Sauvignon als Naturwein zeigt sich nicht so vordergründig, bringt Finesse mit, braucht eine längere Entwicklung im Glas, auch zwei, drei Tage später tut sich dann noch einiges, die Kraft ist immer noch vorhanden. Das freut mich, das bedeutet einen Mehrwert.

Naturweine, auch weiße, vertragen bzw. verlangen beinahe das Dekantieren. Zwei Stunden Sauerstoffkontakt vor dem Einschenken dürfen kein Problem sein, der Basiswein aus der Fabrik hätte da vielleicht schon sein Pulver verschossen.